Was sagt es eigentlich über ein nationales Selbstverständnis aus, wenn man in einer Küstenstadt mal eben ein Schild mit der Aufschrift „Fin del Mundo“ aufstellt aber man im südlicheren Hintergrund ganz klar die Konturen soliden Festlandes erblickt? Mmmh, scheint mindestens touristenwerbewirksam zu sein, aber sind die argentinischen Grenzen auch gleichzeitig die Kante der Erdenscheibe? Ähm, Moment… Da war doch… Wiederholt sich „Geschichte“?
Bevor die informierte Leserschaft jetzt wieder stöhnt und menetekelt: „Schon wieder Argentinien-Bashing in diesem Post!“, halten wir entgegen: „Ist doch nur ne Frage, die einen Reflexionsraum öffnen möchte! 😉 Und Chile macht es auf andere Weise auch nicht anders!!!!“ (Ruta del Fin del Mundo) Irgendwie sind sich die beiden Staaten wenigstens in diesem Punkt gemeinsam (un)einig und erheben Ansprüche, deren Realität doch stark zu bezweifeln ist… Egal! Wer es glaubt?! 🙂
Argentinien-Bashing? Davon sind wir mittlerweile weit entfernt! Nicht nur, weil wir gerade im Flieger auf dem Weg zu einem anderen Ende der Welt sitzen (der Globalisierung sei „Dank“, gerade einen Zwischenstop in Rio einlegt), sondern auch, weil die Erinnerungen wohl dem Einfluss des Begreifens unterliegen, mit Ushuaia ein nicht unwesentliches Etappenziel dieser Reise erreicht zu haben. Werden wir jetzt sentimental? Nicht doch, aber mindestens emotional sind wir ja schon seit einiger Zeit, wenn auch mit unterschiedlichen Prägungen und Nuancen… :-).
Argentinien (oder ein kleiner Teil von ihm) wollte uns ganz zum Schluss sogar noch beschenken!!! Man kauft sich ein frisches Airport-Sandwich mit den letzten Pesos, die man für üppige Gebühren erworben, und für nicht noch üppigere Gebühren wieder in andere Währungen tauschen will, und stellt fest: ‚Boar, da gibt es eine grün-weiße Zugabe!!! Schnell mal noch nach der spanischen Übersetzung für das Wort „Schimmel“ geschaut und das Ding zurückgebracht. „Danke, aber nein danke!“ Entschuldigung? Fehlanzeige. Das Feilbieten eines Sandwichersatzes durch ein anderes, natürlich ebenso frisches DING(!!!!) musste ich dann, undankbar wie ich eben bin, ablehnen… Neuseeländische Einreisebestimmungen eben… Die Kiwis achten penibel auf Gefahrenquellen für ihre Flora und Fauna…
Auch die staatliche Airline Argentiniens lässt sich nicht lumpen… Muss man sagen. Sie sorgt für einen dynamisierenden Stimulus, indem sie das Gepäck nur bis Buenos Aires checked und man in einem Zeitfenster von zwei Stunden und 15 Minuten den ganzen Mist noch mal absolvieren darf, immer das Damoklesschwert über dem Muttonschädel, die Flüge zu verpassen… (Uns ist schon klar, dass das organisatorische Gründe mit Inlands- und internationalen Flügen hat – trotzdem nervig!) Hat dann aber alles super geklappt, auch wenn wir bei 26 Grad die Hammelbeine ganz schön in die Hand nehmen mussten und das Leitmutton sich auch noch den Rücken leicht dabei verhob, die Radkartons das xte Mal auf einen Wagen zu wuchten…
Aber jetzt kommt der Klou und die tendentiöse Wendung in der Causa Argentinien für diesen Blogbeitrag: Nachdem die argentinische Staatsairline auf dem Flug nach Buenos (BA) ne Tüte Nüsse und nen Müsliriegel kredenzt hatte (kann man werten oder feststellen, das sei euch überlassen), sorgt der neuerliche Check-In am Emirates-Schalter des Terminal A in BA für eine freudige Überraschung unsererseits… Die Menschen sind so kulant, dass unsere Bikes kostenlos mitfliegen dürfen. Die Länge von 150 cm wird augenzwinkernd bestätigt und die Boxen gehen auf die Reise. 325 US-Dollar gespart. Muchas Gracias!!!!
Und da ist er wieder, der Unterschied zwischen Staat und Mensch in diesem Land! (obwohl da ja eigentlich eine Verbindung bestehen sollte, so nimmt man an) Aber damit nicht genug… Wir durften die letzten Tage in Ushuaia in einer Herberge verbringen, deren familiäre Herzlichkeit in anderen Breiten dieser Erde ihresgleichen sucht! Und das für einen Preis, der untypisch niedrig (wenn auch nicht günstig) für das Ende der Welt erscheint. Auch hier sagen wir DANKE an Familie Velasquez und ihr kleines aber feines Hostel…
Also alles in Butter? Wäre langweilig, wenn es so wäre. Erinnert ihr euch noch an LA?! – wir uns nur zu gut! Und wenn die beiden einzigen Fahrradläden des Ortes einen Tag vor Abflug keine Bikeboxen haben, wird es schon wieder flau in der Magengegend!!! Stresshammel-Modus!!! Und jetzt? Internet! Ein kleiner Forumspost (von 2012), der besagt, es gäbe einen kleinen Baumarkt, wo man mühelos Kartons bekäme, für lau!!! Hört, hört!! Also hammeln wir los! Das schlechte Gefühl will aber einfach nicht weichen… Gefragt! Mitkommen! Gerade noch zwei im Lager!!! Die letzten beiden!!!!!! TIMING?! GLÜCK?! Sch…egal! Wir ham se!
Apropos Sch…!!! Wir hecheln enthusiasmiert mit den Errungenschaften des Tages gen Hostel, wo eine Bikeverpacksession ersten Rages auf uns wartet und Mister Mutton prüft erst einmal mit seinem geschulten Auge, ob unsere Räder auch wirklich in die Kisten passen wollen, indem er (s)einen Karton einfach mal zum Abgleich vor den Rädern platziert… Das geschulte Auge hat dann aber einen gehörigen blinden Fleck und das „Achtung“ von Hammelinchen vernahm Mister zu spät und tangierte doch tatsächlich relativ eindrücklich einen Sch…haufen, der über Nacht direkt vor unsere Räder platziert worden ist!!! Tolle Wurst???? Exakt!!! Warum macht das Vieh sowas?!!
Also erst der Kampf gegen die Exkremente eines dämlichen argentinischen Straßenköters, dann gegen die Maße, denn wie sich herausstellte, ist ein Karton dann doch eher proportioniert für ein Kinderfahrrad… Herzlichen Glückwunsch… Herr Hammel hat den Kaffee auf („das passt doch nie im Leben!!!!“). Aber was nicht passt, wird passend gemacht und wer ein solches Rad zusammengebaut hat, kann es auch wieder auseinander nehmen. GENAU DESHALB haben wir das ja vor der Reise so gemacht. Reifen runter, Gabel raus, Kratzer an den Rahmen … . Nach gut 1,5 Stunden ist das Ding im Sack, ähm in der Box. Das Verpacken des zweiten Drahtesels ist dann eine leichte Übung!
Das Taxi zum Flughafen ist dann auch für den kommenden Tag 10:00 Uhr bestellt, kommt halb elf, ist aber alles im Rahmen. Der Fahrer und seine Familie sind Peruaner und klingen melancholisch-heiter, als sie hören, das wir deren Heimat beradelt haben.
Während wir noch den Müsliriegel und die Nussmischung des ersten Fluges verdauen, drückt uns im ersten Emirates-Flug nach Rio die freundliche Flugbegleiterin eine Menükarte in die Hand… (nachdem wir in Buenos Aires noch vier frische Empanadas mampften) Bitte was?! Machen wir jetzt immer… ! 🙂 Das Abendessen ist damit gegessen und Lamm bzw. Huhn feinster Qualität füllen unsere Mägen. Dazu n Käffchen und n bissl anderes Zeug – die Welt ist in Ordnung…. Doch die Fressorgie kennt nach dem Wiederaufstieg in die Lüfte keine Grenzen und schon gar kein Ende! Das Schreiben dieser Zeilen wurde jäh vom Frühstück unterbrochen, welches wir 2:00 Uhr morgens zu uns nahmen. Mit einem Omelett und reichlich Kaffee schreibt es sich doch gleich viel besser und bald gibt es lecker Mittagessen :-). Hammelinchen hat nach dem ersten Film gleich mal die von Emirates gereichte Augenverdunkelungsvorrichtung angelegt, die Oropax in die Gehörgänge gestopft, weil der Nachbar am Schnarchen ist und sieht jetzt zu, dass sie ne Mütze Schlaf bekommt. Eine Reisezeit von 54 Stunden will auch abwechslungsreich gestaltet werden!
Reisen kann so komfortabel sein!!! Wir haben aktuell tatsächlich auch mal Rückenwind!!! Unfassbar!!! In/Auf Feuerland ist all dies für uns irgendwie so gar nicht möglich gewesen… Obwohl der Name hier doch eigentlich etwas ganz anderes vermuten ließe, hat es uns das ein ums andere Mal so richtig nass gemacht und eiskalte, einstellige Temperaturen ließen die Herde ganz schön schlottern. Gelungener Abschluss auf dem Kontinent? Wir nennen es zumindest erst einmal eindrücklich, auch wenn der letzte Teil der Strecke seit Punta Arenas nichts außergewöhnlich Interessantes mehr für uns bereit hielt! Fährfahrt nach Porvenir bei Sonne, Piste bis Argentinien (und hier ereignete sich Historisches, denn gegen Ende war das chilenische Stück um Längen schlechter als das argentinische!!! Wohl aber ne Ausnahme, denn die Chilenen basteln schon fleißig an einer Pavedroad!) und dann auf einer verkehrsreichen Ruta 3 gen „Fin del Mundo“!
Ambivalente Gefühlsdispositionen bestimmen unsere mentale Verfassung, wenn wir auf die letzten Monate zurückblicken, Unweigerlich ist das Erreichen Ushuaias eine Zäsur! Was haben diese mehr als 11.000 Radel- und Reisekilometer bewirkt? Was nehmen wir mit durch diese Eindrücke und mit welchen Augen sehen wir den Rest der Welt nach dieser Zeit? Komplexe Fragestellungen, deren Beantwortung wohl noch etwas Zeit in Anspruch nehmen könnte. Zeit, die man auf einer 54stündigen Reise hat? Vielleicht 🙂
Aber an dieser Stelle wollen wir es erstmal beim Südamerikaabschiedsbeitrag belassen. Hammelchen braucht schließlich auch noch etwas Schlaf, nachdem die letzten Tage dann doch etwas stressiger waren, als erwartet.
Wir grüßen aus dem Luftraum irgendwo über dem Atlantik und streben dem elfstündigen Aufenthalt in Dubai entgegen.
Edit: Mittlerweile sind wir in Dubai gelandet und harren der Dinge… Es gibt wahrlich schlechtere Plätze!
Wir sagen erstmal adios unnd bye bye!!!
14. März 2017 at 10:25
Jetzt hab ich mich in eurem Blog grad von Salta bis Ushuaia durchgelesen. Ich war da 2x ebenfalls mit dem Rad unterwegs, einmal von Süden nach Norden, aber tendenziell auf der chilenischen Seite, und einmal von Norden nach Süden, aber in viel kleinerem Umfang und beide Male ohne den Anspruch, alles abzuradeln. Dafür machte ich diverse Sidetrips. Danke für deine Texte, sie liessen in mir schöne Erinnerungen erwachen 🙂
Argentinien war für mich immer ein bisschen wie Italien: Chaotisch aber liebenswert und im Vergleich zu Chile billig, v.a. wenn man Euros, Dollar oder chilenische Pesos zum Wechseln hatte. Geld abheben machte dagegen wirklich keinen Spass. Zuhause war ich dann erstaunt darüber, wie schnell die Inflation da wirklich fortschreitet: Die 1000 Pesos, die man abheben konnte, korrespondierten jedes Mal weniger Franken.
Ich konnte mich nie entscheiden, ob mir nun Chile oder Argentinien besser gefällt – musste ich ja zum Glück auch nicht 😉
Spannend war auch zu sehen, was sich alles verändert und was nicht. Ich dachte, dass die Chilenen ihre Carretera Austral wohl bald fertig asphaltiert haben würden. Scheinbar ist dem nicht so. Die Stauseen scheint es auch (noch?) nicht zu geben, wenn ich deine Fotos anschaue. Der Verkehr scheint – gemäss deiner Schilderung – aber zugenommen zu haben. Vor sechs Jahren war es da meist noch recht ruhig. Sie ist halt ein Touristenmagnet, das hat Vor- und Nachteile. So ist die Überfahrt über den Lago O’Higgins weniger teuer geworden, seit es da nicht mehr nur ein Schiff gibt. Dafür zockt der Kapitän auf dem Lago del Desierto tüchtig ab. Das war vor sechs Jahren günstiger (aber da gibt es ja den Wanderweg aussen rum :-D)
Viel Spass in Neuseeland!
LikeLike