Wie das Kaninchen auf die Schlange starren die Muttons auf die Wettervorhersage der nächsten Tage. Neuseeland ist ja immer für mindestens eine Überraschung täglich gut und man kann, laut zahlreichen lokal Ansässigen, alle Jahreszeiten mindestens einmal am Tag absolvieren. „Das muss der Fortschritt sein, von dem immer alle reden!“ (M. U. Kling) Aber was uns auf unserem Weg entlang der Westküste bevorzustehen scheint, könnte den Rahmen des schier Erträglichen deutlich sprengen.
Wir reden hier nicht von der eindrücklichen und tollen Landschaft, die uns auf diesem Teil der Tour erwarten soll. Nein, es ist die explosive Mischung aus den die Menschen terrorisierenden Sandflies, sintflutartigem Regen (ja, zweistellige Milimeterwerte sind hier die Basis jeder Messung 😦 ) und dem ätzenden Verkehr auf den raren Verkehrswegen, die allen Reisenden und Ansässigen hier gleichermaßen zur Verfügung stehen.
Aber auch die Retrospektive auf die letzten Tage wartet mit Eindrücken auf, die unser anfangs gezeichnetes Bild Neuseelands etwas ins Wanken bringen. Da uns ja bekanntlich jeder Hang zur Theatralik und Übertreibung so fernliegt wie Kiwi- von Deutschland, kann sich die Leserschaft jetzt auf die erschütternde zweite Realitätsbetrachtung dieser kleinen Welt gefasst machen :-).
„Irgendein Schalter muss sich in den Köpfen der NeuseeländerInnen umlegen, wenn sie sich in ihren motorisierten Untersatz setzen!“ Diese Vermutungen artikulierte ein in Auckland gestarteter, britischer Reiseradler, der uns vor einigen Tagen auf dem Backroads der Catlins entgegen kam. Und dieser Schalter muss nach unserem Empfinden mindestens eine rationale und eine emotionale Funktion des menschlichen Rechenzentrums ausschalten, von denen durchaus der Weltfrieden abhängt! Die (meisten) Menschen hier sind wahrlich ungewöhnlich herzlich und nett, solange sie nicht Auto fahren. Seit wann kann es nur Aufgabe der RadfahrerInnen sein, gesehen zu werden?! Vorsicht, Rücksicht, Weitsicht – nichts für einige (zu viele) motorisierte Verkehrsteilnehmer auf den engen Straßen hier. Neuseeland ist definitiv (noch) kein radfreundliches Land. Darüber können auch die ambitionierten Radinfrastrukturprojekte nicht hinwegtäuschen. Irgendwann spuckt einen auch der beste Trail mitten auf den Highway ohne passende, verkehrsberuhigte Alternative und dann heißt es Augen zu und durch, in der Hoffnung, Fortuna sitzt mit auf dem Rad, wenn der nächste Viehtransporter oder Bus an einem vorbeihämmert, ohne nur ansatzweise den Anschein zu erwecken, der/die Fahrende hätte uns gesehen und Beachtung geschenkt.
Not funny, guys! Die ganze Nation trägt neonfarbene Kleidung! Kein Scherz! Aber ist das Risiko, nicht gesehen zu werden, ein Naturgesetz, dem man sich fügen und anpassen muss? Gruselig!!!
Es erweckt den Anschein von Zynismus, wenn einen wohlgesinnte KIWIS unterwegs vor den Gefahren für RadfahrerInnen auf ihren Straßen durch Touristen warnen. Die sind WAHRLICH NICHT DAS PROBLEM! Eher fahren die zahlreichen, vor allem asiatischen Touris sehr umsichtig und auch die europäischen Minivanreisenden kennen das Wort Sicherheitsabstand definitiv besser als die BerufsfahrerInnen in Neuseeland.
All das ist nicht neu, viel erlebt und geschildert unterwegs und auch auf deutschen Straßen präsent. Aber hier haben wir das Gefühl, es tritt in einer fast unerträglichen Häufigkeit auf. Der Umstand, dem nicht wirklich ausweichen zu können, ohne für einen Shuttle-Bus zu bezahlen, potenziert den negativen Eindruck enorm. Wir hoffen, auf dem Weg nach Norden ergeben sich ein paar Alternativen.
Ein jeder kennt wahrscheinlich den Ausspruch: „Eigentum verpflichtet.“ Und das ist in der deutschen Alltagsrealität echt eine feine Sache. Neuseeland wirbt mit seiner facettenreichen Natur auf engstem Raum. Ja, das ist nicht gelogen. ABER: Man bleibt Zuschauer, darf nicht wirklich partizipieren. Wälder? Geschlossene Veranstaltung!!! Hier scheint man von der Gunst der Privateigentümer abhängig zu sein, um auch kulturell wichtige Orte besichtigen zu können. Wie oft laßen wir auf Schildern, dass sich der neuseeländische Staat glücklich schätzt, beispielsweise die Elephant-Rocks der Öffentlichkeit zeigen zu können, weil sich die Eigentümer dazu bereit erklärt haben.
So führt der hier stark gelebte angelsächsische Liberalismus just zum Widerspruch, dass das freie Bewegen im Land schier unmöglich ist und man mit ordentlichen Restriktionen belegt werden könnte, wenn man es trotzdem probiert.
Und dann radelt die Muttonherde durch den eingezäunten Gatway eines staatlich angelegten Radtrails gen Queenstown und fühlt sich eben auch wie eine Hammelherde, nur um dann mitten im Nichts vor einem Gatter zu stehen, welches SEHR SORGFÄLTIG vom im Nachhinein mit dem Radweg doch nicht mehr einverstandenen Bauern verriegelt und verrammelt wurde, sodass uns nur die Möglichkeit bleibt, alles Stück für Stück über die Barrieren zu hiefen. „Eigentum verpflichtet!“ – Ja, aber hier scheint die Adressatenschaft eine andere zu sein.
Auch ein ernüchternder Aspekt: Der sehr pittoreske Strand der süd-östlichen Küste auf der Südinsel selbst scheint Gemeingut zu sein…, allerdings nicht der Landstreifen unmittelbar davor! Man hört das grandiose Meeresrauschen des Pazifiks, man sieht dessen majästetisch anmutendes Antlitz, aber man kommt verd…t nochmal nicht ran. Finde da mal einen Platz zum Pennen für die Nacht! Fast unmöglich, aber wo ein Wille, da auch ein Hammelweg. Der Tag neigte sich erschreckend schnell dem Ende und wir suchten nach jeder knackigen Steigung nach irgendeiner Möglichkeit, auf diesem häuserarmen, aber definitiv überzivilisierten Stück Küstenlandschaft unsere Hütte aufzustellen und fanden nach 20 Kilometern einen der zwei Strandzugänge, den wir vereinnahmten… Gut, dass erst gegen halb elf eine Frau auf ihrem Quad zum Holzsammeln entlang des Strandes aufbrach! Trotzdem musste sie einen Moment warten 🙂 !
Es entbehrt auch hier mal wieder nicht der Ironie, dass wir einen scheinbar perfekten, ruhigen Campspot direkt an einem Fluss im Randgebiet der pulsierenden Touristenhochburg Queenstown unser eigen für eine Nacht nennen konnten. Dort hätten wir das nun wirklich als letztes erwartet. Das Zelt platzierten wir schön versteckt unter einer vom Herbst deutlich gezeichneten Linde… Genial! Oder? Schön gemütlich und dazu für nass. Dass es abends noch etwas vom Himmel tröpfelte war da kein Problem, stand das Zelt schon und gab uns doch der Baum etwas Schutz. Nun wollten sich die Muttons gerade zu Bette begeben, leuchteten mit ihren auf Stealthmodus gestellten Stirnlampen zwangsläufig noch mal kurz aufs Zeltdach und mindestens für den Mister war die Nacht gelaufen, bevor sie überhaupt angefangen hatte… Warum?! Wenn der Himmel Sterne zeigt, es aber dennoch weiter regnet, liegt doch was im Argen, oder? EXAKT! Das ganze Zelt, unsere Klamotten und die Räder waren mit Tropfen überzogen, die nicht regnerischen Ursprungs waren. „Igitt!!! Das klebt!“ Umziehen? Nee, unmöglich!!! Und leise rieselt das WASAUCHIMMER bis zum nächsten Morgen weiter…
Das morgendliche Einpacken war dann auch ein wahrliches Vergnügen :-/. Schnell weg da, Gefrühstückt wird hier definitiv nicht! By the way: Mensch ist das kalt geworden… Mehr als 8 Grad sind es nicht mehr und der Wind tut sein Übriges, um uns deutlich zu machen, dass der neuseeländische Sommer erstmal vorbei ist…
Was ist das jetzt eigentlich für ein Dreckszeug, was da auf uns niederprasselte? Wir kontaktierten unseren Starbiologen Sascha und der klärte uns darüber auf, dass wir im warsten Sinne des Wortes beschissen worden sind! 🙂 Läusekot = Zuckerwasser = Zeltglasur! Na herzlichen Glückwunsch. Glück im Unglück: das Zeug ist wasserlöslich und abends auf dem Campsite kommt bei sechs windigen Grad Celsius auch keine Langeweile auf, wenn das Zelt geflutet werden muss… Jetzt ist es aber wieder gereinigt und findet so schnell kein Baumdach mehr 🙂
Bevor jetzt einige Neuseeland von ihrer Reise-TO-DO-Liste streichen, können wir natürlich noch Erlebtes ins Feld führen, was auf die Pro-Seite gepackt werden kann 🙂 Natürlich wartet das Land mit zahlreichen Freizeit- und Outdoorerlebnissen auf und wir haben noch lange nicht alles gesehen. Ist ja nur ein Statusbericht! Wer beispielsweise einen Reiz darin verpürt, sich ein paar hundert Meter in die Luft befördern zu lassen, um dann aus dem Flugzeug geschupst zu werden, der ist in Queenstown und Wanaka bestens aufgehoben. Das passiert hier im Minutentakt und wird auch nicht langweilig, wenn man das mit einer Speedbootfahrt auf den zahlreichen Gewässern der Region ergänzt, währenddessen man die Tierwelt auch mal aus einer anderen Perspektive wahrnehmen kann… Dramatik pur, wenn die Ente am Rumpf des Bootes zu zerschellen droht, weil sie einen Moment unaufmerksam war… Survival of the fittest – that is life, stupid?! Gut! Bekommt man auch auf Malle – aber hier ist das Ambiente ein besseres;-)!
Beispielsweise ist die Region um Wanaka bekannt für ihren guten Wein mit internationalem Ruf. Vielleicht ist es besser, den Wein in Deutschland zu kaufen, weil er da nach mehr als 10.000 Seemeilen deutlich günstiger ist als vor Ort (ein Pro der Globalisierung? Die Locals finden es nicht so toll!), aber schön anzusehen sind die Weingüter dennoch.
Die Catlins sind ein herrliches Stück Kulturlandschaft. (Fast) Nichts ist dort mehr natürlichen Ursprungs, aber eindrucksvoll ist es dennoch, dort zu reisen, wenn das Radeln auch durchaus anspruchsvoll ist, weil das Auf und Ab mit extremen Steigungen die Konstante bilden. Die Panoramen sind dann allerdings nicht von schlechten Eltern. Und die Liebhaber von Merinowollklamotten brauchen sich auch wahrlich keine Sorgen über Nachschub zu machen: Hier sind die Wiesen voll von zufriedenen, grasfressenden Wolleträgern, die nur ab und an von einem vorbeireisenden Radler zur Flucht animiert werden, der teils erfolgreich, teils vergeblich versucht, mit der Gemeinde zu kommunizieren. Aber eine panisch wegrennende Hammelherde hat auch was Eindrucksvolles für sich. Wir nennen diesen Akt liebevoll „Muttondomino“ 🙂 (By the way: ein schönes Spiel auf Reisen) Alternativ geht das auch mit der Kuhherde oder Wild – ausprobiert, alles ausprobiert!
Es gibt Apps, die einem die Campspots im ganzen Land zeigen. Wir nutzen beispielsweise Wiki Camp NZ. So hat man die Möglichkeit, seine Schlafplatzwahl vorab etwas zu koordinieren und kann die Strecken danach auswählen, sofern man eine Wahlmöglichkeit hat. Toller Service und ausgesprochen nützlich, um das Geld zu sparen, was man hier definitiv zu wenig hat.
Jetzt folgen noch drei Beispiele für die angesprochene Herzlichkeit der Menschen:
1. Weg nach Dunedin (Edinburgh Neuseelands), Dauerregen, ar…kalt, Anstieg… Der erste Radler kommt vorbei und gibt uns den Tipp für eine Trinkwasserquelle. Ist zwar nass genug, aber nett! Ein paar Minuten später holt mich Nick ein, der sich gerade mit seinem Mountainbike auf die diesjährige Great Divide in den USA vorbereitet. Wir kommen ins Gespräch und am Ende sind wir um einen trockenden Schlafplatz, ein Abendessen und ein nettes Beisammensein im Kreise seiner Familie reicher. Es war Sonntag und Nick und seine Frau ließen sich nicht daran stören, dass sie morgens wieder auf Arbeit mussten. Alles kein Problem! Danke für diese herzliche Gastfreundschaft!
2. Rast an einem windigen Tag (natürlich Gegenwind, was sonst!), der Rennradler John quert unseren Weg, wir quatschen ein wenig und er gibt uns nützliche Tipps für den weiteren Verlauf der Strecke. Ein Angebot zu Kaffee und Tee in seinem Haus ist auch dabei (war aber leider zu spät an diesem Tag). Als wir uns später dann wieder mit dem starken Gegenwind befassen, kommt er uns tatsächlich mit seinem Auto entgegen und bietet uns einen hitchhike zur nächsten Stadt an, hat aber auch vollstes Verständnis dafür, dass wir es des Vorsatzes wegen, alles radeln zu wollen, was auf unserer Strecke liegt, dankend ausschlagen.
3. Invercargill – Campsite – Stue, der alte Haudegen, lädt uns in seine Hütte auf dem Campsite ein, die er seit einigen Jahren als Dauergast bewohnt. Etwas verrückt scheint er wohl zu sein, aber ein kautziger Zeitgenosse, mit dem spaßiger Smalltalk an der Tagesordnung ist, bietet einen gelungenen Abschluss des Tages. Ein Gästebuch hat der Kollege auch angelegt. Hier stehen jetzt auch die Muttons drin 🙂
Neuseeland ist eine Reise wert! Das können wir schon an dieser Stelle konstatieren. Und irgendwas ist ja immer, gelle? 🙂
Die Fotos zeigen natürlich nur das Schöne, aber sprechen auch für sich, würden wir sagen.
Wir hoffen auf weiteres Wetterglück, denn diesbezüglich können wir uns wahrlich nicht beschweren. Uns stehen jetzt noch zwei Monate in diesem Land bevor.
An ein paar Auflöseerscheinungen wird deutlich, dass die Reise bald zuende geht… Wir hoffen, dass das, was am letzten Faden hängt, dies auch noch in den nächsten acht Wochen tut.
Herzliche Grüße aus dem Herbst in den Frühling, törö, ähm mäh!
Die Muttons!
8. April 2017 at 21:45
Mensch Kinners,
das klingt nach Zielgerade und Endzeitstimmung 🤔
Viel Spaß noch in KIWI-Land!
Wie schmecken die Kiwis eigentlich vor Ort?
Viele Grüße aus dem europäischen Frühling ins herbstliche Neuseeland!
Übrigens trägt die Südinsel auch den Titel „The Roaring 40s“. Damit ist die geographische Breite gemeint und die teils extremen Winde, die dort entstehen.
Also gut festhalten am Lenker 😎
Viele liebe Grüße
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18. April 2017 at 10:35
Huhu, tja, nicht mal mehr 50 Tage veebleiben uns hier bei den Kiwis, die wir noch nicht probiert haben. Die stehen ja unter Artenschutz :-)… Oder meinst du die Früchte;-)?
Beste Grüße vom Strand bei Greymouth… Zeltplatz deluxe? Die Nacht wird es zeigen…
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