Die „tollsten“ Dinge passieren hier irgendwie in der langen Dunkelheit der Nacht. Man steigt abends nichtsahnend in seine gemütliche Schlaftüte, um einige Zeit später festzustellen, dass nichts mehr so ist, wie wir es imaginierten, als wir die Äuglein zur Nachtruhe schlossen.
Dabei erreichten wir Ayancucho mit dem scheinbar felsenfesten Plan, Cusco der Zeitersparnis wegen auf direktem Wege via PE 3 S anzusteuern, um dann Anfang Oktober weiter Richtung Bolivien zu radeln. Doch dann trafen wir Campbell, einen sympathischen Londoner, der seinen Job an den Nagel und seine Packtaschen an sein Rad gehängt hat, um in acht Monaten an das Ende der Welt zu pedalieren.

Nach einem gemütlichen Abendessen und einem nächtlichen Umdrunk beschlossen die Herde und „El Gringo“, ein Stück gemeinsam zu radeln – Planänderung eins.
Gleich am Ende des ersten gemeinsamen Radeltages bot sich uns im Bergkaff Mantara (entschuldigt sei dieser herbe Begriff, aber er passt ganz gut 🙂 ) völlig unerwartet die Möglichkeit in einem der örtlichen Schulgebäude zu nächtigen. Wollte ich nicht eigentlich der Schule ein Jahr lang fern bleiben?! 🙂 – Planänderung zwei.

Wo eine Schule ist, gibt es meist Kinder, die ebendiese besuchen. Und wenn Gringos diese Bildungsstätte mit ihrem „komischen“ Campinggeraffel in Beschlag nehmen, bleibt das nicht lange unentdeckt. Und so konnten wir uns schon wenige Minuten später dem Fußballduell „Europa-Peru“ stellen, nur um nach dem ersten Sprint festzustellen, dass eine solche Zockerei auf 3500 müN so gar kein Spaziergang ist, wenn einem sogleich die Lunge aus dem Körper springen will und man nach Luft schnappt, wie ein Fisch an Land. Ergebnis: 6:4 für Peru – so war das nicht gewollt – Planänderung drei!!! Zu unserer Verteidigung sei gesagt: Wir sind den Tag über ordentlich geradelt, waren nur zu zweit (Campbell und ich), weil sich Frau Mutton auf das Fotografieren der ganzen Aktion fokussierte, und die peruanischen Kids (ja, es waren drei Jungs im Alter zwischen circa 10-13 Jahren) natürlich deutlich besser akklimatisiert sind. Dies sollte als Erklärung des katastrophalen Endergebnisses wohl mehr als ausreichen! 🙂

Nächster Morgen – wir packen unseren Mist zusammen, denn um acht beginnt der reguläre Schulbetrieb. Wo ist eigentlich Frau Mutton?!?! Sie war doch gerade noch hier???!!!! – Irgendwann kommt sie mit einem vielsagenden, allerdings nicht wirklich freudigen Gesicht zu uns zurück. Jetzt rebelliert ihr Verdauungssystem, und zwar ordentlich! Keine gute Basis für die anstehenden Bergetappen fernab größerer Städte. Also haben wir einen weiteren Begleiter, nur der ist nicht wirklich sympathisch – Planänderung vier.

Mit diesem „Typen“ im Schlepptau stand neben der bzw. den in Peru stets obligatorischen laaaaaaaaaaaaaangen Auffahrt/en, auch eine geniale, circa 40 km lange Abfahrt auf bestem Asphalt an – erinnert sich noch jemand an die Beschreibungen der EINEN Abfahrt in Amiland?! – Alles Makulatur, denn hier ist das Land der Abfahrten und es stehen deutlich mehr Endorphine am Straßenrand, die freudig aufspringen auf den MuttonXpress. Mit stellenweise 70 km/h jagen wir also diese Abfahrt hinab, erleben neben dem Temporausch auch den immer wieder faszinierenden Wandel der Landschaft, der sich vollzieht, wenn man von über 4000 müN auf circa 1800 müN runterrauscht – man hat das Gefühl, alle Vegetationszone zu durchfahren. Im Tal angekommen, knallt uns die Sonne so richtig auf den Latz. Glücklicherweise bläst der Wind von hinten und so geht es flussaufwärts Richtung nächster Destination, dem Ort Chincheros – leider auch mit einem gehörigen Schlussanstieg von über 800 hm auf kurzer Distanz. Frau Mutton ist gezeichnet – kämpft sich aber beeindruckend durch (wie auch in den nächsten Tagen), aber wir beschließen, dass Campbell schon vorfährt, um Unterkünfte zu sondieren und eine dieser auszuwählen – Planänderung fünf.

Wenn schon kein Ruhetag/Genesungstag, so dann doch bitte eine ruhige Etappe – mit dieser Überlegung starten wir nach den knapp 100 km des Vortages am nächsten Morgen. Vielleicht ist mal wieder ein idyllischer Wildcampspot drin? Gegen 16 Uhr dämmerte uns, dass a) der laaaaaaaaange Anstieg durchaus zu schaffen sei und b) zu schaffen sein muss, weil da oben auf über 4100 m irgendwie von Idylle und Camping keine Rede sein kann… – Planänderung sechs. Dass sich hinter uns eine gehörige Unwetterwand aufbaute, bestärkte uns in dem Ansinnen, schleunigst unser Heil im Downhill und unsere Ruhe in einem Hospedaje zu suchen, was sich wohl im nächsten größeren Ort finden lassen sollte… ! Man ahnt es schon 🙂 Wir jagen im Halbdunkel die Abfahrt hinunter, absolvieren gefühlte 1000 Fotostops, immer mit dem Vorsatz, dass der aktuelle ob der klirrenden Kälte nun aber wirklich der letzte sei (-Planänderungen xyz, die ich einfach mal als die sieben zusammenfasse – die abendliche Lichtstimmung war aber einfach zu grandios!!!), nur um festzustellen, dass es im besagten Ort keine Herberge für uns gibt. Mittlerweile ist es dunkel und wir sehen uns gezwungen, einfach weiterzuradeln, bis wir eine Lokation fürs Nächtigen finden können – Planänderung acht.

Campbell mit Vorderlicht fährt vorn, Mister Mutton ohne irgendeinen Schimmer in der Mitte und Frau Mutton mit Stirnlampe und Rücklicht bildet den goldenen Abschluss. Vom Nachahmen wird dringend abgeraten. Nach circa 30 Minuten erreichen wir, es ist bereits stockdunkel, Santa Maria de Chicmo, beziehen eine Unterkunft und gehen noch schnell „traditionell“ essen :-). Dem Motto treu, offeriert uns die Herbergsmutter, natürlich NACHDEM wir eingecheckt hatten, dass wir am nächsten Morgen 6:30 Uhr das Hospedaje verlassen müssten, weil sie auf Arbeit müsse – hatten wir uns was anderes vorgestellt nach diesem Tag?!?!?! – Planänderung neun. 

An diesem Abend beschließen wir auch (den Überredungskünsten Campbells sei Dank! 🙂 ), am nächsten Tag die PE 3 S zu verlassen, um ein Stück auf einer Nebenstrecke mit sicher idyllischeren Aussichten gen Cusco zu radeln – Es handelt sich um eine Piste, aber dafür haben wir ja die Räder ….! Mmmmh, etwas (oder deutlich mehr) Reue schwingt retrospektiv mit dieser Entscheidung mit … – gleich! Aber zudem: Planänderung zehn, in deren Konsequenz gesteigerter Frust einherging.

Tagsdarauf: gegen 7:30 Uhr rollen wir in Andahualyas ein, um seit langem mal wieder einen ordentlichen Kaffee (oder eben zwei) genießen zu können. Kurzerhand beschließen wir, unseren Aufenthalt dort um ein paar Stunden zu verlängern (-Planänderung elf) und brechen dann gemütlich zur Lagune Pacucha und den Ruinen von Sondor auf – wo wir dann auch exklusiv campen können!

Camp bei den Ruinen von Sondor

Nur leider ist der Zustand der Muttondame alles andere als Pisten-Uphill-Kälte-tauglich und so wird die Tour um zweifelhaften Vergnügen für sie. Und als ob dies nicht reiche, wecken wir morgens in dickem Nebel auf, der sehr gern auch Regen bereithält und uns das erste Mal so richtig nass macht auf diesem Trip … Mist, wären wir doch die Straße … dann hätten wir … und überhaupt … grmmml.
Gegen 10 Uhr beschlossen wir, die Regenpause zu nutzen und das ganze Geraffel klitschnass einzupacken – geplant war ein früherer Aufbruch (Planänderung zwölf). Motiviert zum Aufbruch wurden wir auch von zwei LKW, die voll beladen mit Horden von Schulkindern gerade in Sondor ankamen. Das hat uns jetzt gerade noch gefehlt, dass wie den Ruinen die Show stehlen und zur Hauptattraktion werden – zum Glück gibt es einen Hinterausgang…
Wir rollen die Piste entlang – eine grottenschlechte Piste, die für Tinas Magen alles andere als bekömmlich ist. Die Wolken und mit ihnen die Nässe verziehen sich nur langsam. Wir holpern ins Tal, auf dessen Gegenseite ein gehöriger Anstieg auf schlechter Piste wartet. Natürlich jetzt in der heißen Mittagssonne. Es ist der Zeitpunkt, an dem wir kurz überlegen,ob die Herde nicht einen Zwangsstop im Interesse der Gesundheit einlegt, während Campbell alleine weiterfährt. Und so trennen sich im besagten Tal bei Socctomayo unsere Wege unerwartet (- Planänderung 13).

„Na prima, jetzt hängen wir auf dieser sch… Piste fest, obwohl wir doch eigentlich schon längst hätten näher an Cusco sein können – wären wir doch …“, dieser Gedankengang sorgte vor allem beim Herrn der Herde für ordentlich Frust. Zu allem Überfluss ist uns auch das Wetter in dieser Nacht nicht wohlgesonnen, als wir auf 3500 m campieren. Aufgebaut wird das ganze Setting noch bei wolkenlosem Himmel, nur um dann gegen zwei Uhr morgens vollends eingewässert zu werden. Und weil das natürlich immer noch nicht reicht, wird der rechte Schuh des Hammels mit reichlich Regenwasser gefüllt, weil er sich ausgerechnet genau unter einem Teil der Zeltaußenwand befindet, was aber aufgrund der Dunkel- und Schlafdrunkenheit unbemerkt bleibt. Auch ist die Zeltunterlage, weil nicht auf das neue Zelt abgestimmt, etwas zu groß… Resultat: reichlich Wasser zwischen Zeltboden und Footprint … Resultat des Resultats: das Wasser drückt es ins Innenzelt… Tiefer kann die Stimmung nicht mehr sinken!!!! Und alles ein paar Meter von der PE 3 S entfernt … grmml.

Schön, dass Campbell trocken schläft im Hospedaje des nächsten Ortes – wessen Idee war das eigentlich noch mal?!??!?!? Naja, entschieden haben wir das letztlich selbst! Lehren haben wir aber auch daraus gezogen …

In Abancay legten wir einen zwingend notwendigen, jedoch auch verdienten, wenn auch nicht geplanten (Planänderung 14) Ruhetag ein, stopften uns mit Pizza, Pasta, Kaffee und Schokoriegeln voll und schafften es, dass sich Frau Muttons Zustand nun endlich etwas besserte…

Morgen geht es dann nach Cusco, wo wir mindestens vier Tag verweilen werden. Zivilisation und Touriterror pur – aber ist sicher auch mal nett nach so viel ländlichem Peru! Dass damit unter anderem auch die Machu Picchu-Abzocke einhergeht, nehmen wir billigend in Kauf, schwärmen doch alle trotz der horrenden Preise (allein die obligatorische Zugfahrt kostet circa 120 Dollar pro Nase) von diesem Zeugnis früher Inka-Kultur.

Planlos in Peru? – Definitiv nicht!!!! Nur mit der Planerfüllung ist das so eine Sache :-)!!! Aber macht das nicht den Reiz aus?! Man frage mich dies nicht, wenn ich morgens unerwartet unter der Zeltplane hocke und warte (mit dem linken Fuß im Meer des Goretex-Radschuhs), dass der Regen nun endlich aufhöre und man seines Weges ziehen kann! Aber sicher ist es wieder eine interessante Episode mehr im Radreiseleben der Muttonherde. Harren wir der Dinge, die sich ergeben werden! Cheers.

Anmerkung, um etwaigen Missverständnissen vorzubeigen: Das alles ist ausdrücklich nicht Campbells Schuld :-)!!!

Werbung