Wie sollte ein gescheiter Tag am besten anfangen? Relativ lange schlafen in einer guten Unterkunft: check! Ein schönes, ausgedehntes und qualitativ hochwertiges Frühstück: check! Entspanntes Packen und Starten in den Radeltag: INVALID! Am Ende konnte es nur noch besser werden! Argentina – du willst uns einfach nicht so recht gefallen…

Uns ist vollkommen bewusst, dass wir mit unseren letzten Berichten kein allzu gutes Licht auf Argentinien geworfen haben! Aber ist denn unser Anspruch tastsächlich ausgewogene Berichterstattung? Wir können es ja mal versuchen und halten Ausschau nach (klar subjektiven) Qualitätsmerkmalen, die dieses Land für uns zu bieten hat… Also nüscht wie rauf auf den höchsten Hügel der Umgebung und erstmal laaaaaaaaang in die Landschaft gestarrt …

Ups, na klar doch… Wir sehen mal wieder den Wald vor lauter Bäumen nicht: DIE LANDSCHAFT!!! Über die 2500 Kilometer Steppengeradel haben wir ja schon berichtet. Die hat durchaus ihren Reiz, keine Frage. Und wenn man aus dem verregneten Süden Patagoniens in diese Gefilde vorstößt, fühlt man sich ganz sicher wie im Paradies. Aber der stete Tropfen der Ödnis füllt dann doch das Fass des Überdrusses und man will nur noch raus da! Seit Junin de los Andes zeigt sich Patagonien von seinem Klischee-Gesicht! Wir dürfen täglich mit den Bäumen kuscheln, Wasserschwertransporte sind absolut nicht mehr notwendig, weil sich quasi an jeder Ecke ein kristallklares Gewässerchen ergießt und es reiht sich ein Deluxe-Campspot an den anderen. Majestätisch erheben sich die Bergmassive vor einem und man kann einfach nur eintauchen in diese natürliche Vitalität. Ein schönes Beispiel dafür ist unter anderem die Rute der sieben Seen. Relaxen und entspannen fällt hier auch zur Hochsaison noch relativ leicht.

Ein Resultat dieser Charakteristik ist, dass sich unsere Tagesetappen stellenweise um mehr als die Hälfte verkürzt haben und sogar das Hammelchen nicht umhin kommt, des Morgens auch gleich mal noch nen zweiten Kaffee zu brühen, während Hammelinchen, völlig überrascht ob der Hammelschen Gelassenheit, gar nicht mehr weiterschlafen kann, obwohl sie es könnte. Verrückte, heile Welt, wenn dem Antreiber vom Dienst so ein Stück weit der Antrieb verloren gegangen ist :-)!  OK! Pluspunkt eins für Argentinien und alle anderen Beteiligten.

Findet sich noch etwas auf der Pluspunktagenda? SIECHER DAT! Die Argentinier hier im Süden können wahrlich Brot und andere Leckereien backen, die schnell einen erhöhten Suchtfaktor aufkommen lassen. Das Stelldichein in der örtlichen Panadaria gehört genauso zur Obligatorik, wie der anschließende Verzehr der Köstlichkeiten auf der Plaza des jeweiligen Ortes. Nur auf die Linie müssen die Muttons nun vermehrt achten. Wer denkt, dass tägliches Geradel problemlos mit hemmungsloser „Fresserei“ mannigfacher Kalorienbomben einhergehen kann, der irrt gewaltig. Der dämliche Körper ist aufgrund der letzten sechs Radel-Monate so penetrant effizient geworden, dass 1,5 Liter Cola, garniert mit süßen Teilchen aus der Bäckerei und Pasta und Keksen und und und, einfach zu viel sind für den Energieverbrauch des Herdentiers, was sich um die acht Stunden täglich im Sattel befindet! Andererseits: Vielleicht sind Schwimmringe für Neuseeland auch nicht schlecht :-)!

Pluspunkt drei: Das Wetter. Und hier lässt sich der beradelte Teil Argentiniens definitiv nicht lumpen (von den Windkapriolen sehen wir mal ab). Dies ist ein unstrittiger Vorzug, der dem Bewusstsein schnell verloren geht, aber umso schneller wieder in dasselbige stößt, wenn einem die Schuhe mit ergiebigen Regenasser volllaufen, während einem der Schlamm der Straße förmlich um die Ohren fliegt und man nicht weiß, ob die Regenklamotten nun undicht sind, oder einfach nur der Schweiß unter diesen Dingern dafür sorgt, dass es sich so anfühlt… Und eins steht fest… Wir werden in genau diesen „Genuss“ wohl nun des Öfteren kommen, da nützt auch alles Hoffen nichts… (während diese Zeilen den Einzug in die digitale Welt finden, kann man draußen das Ergebnis des ersten längeren Regengusses der letzten Monate hören, sehen und riechen. Wir sind in Chile angekommen. Und mit uns der Regen????!!!!! Hoffentlich nicht!

Exkurs: „Ausnahmen bestätigen die Regel“ – sechs Uhr morgens, Argentinien, irgendwo in den Büschen rechts der Ruta 40 zwischen El Bolson und Epuyen. Am Hang gegenüber gingen in der Nacht immer mal wieder ein paar Steinmassen ab, die verdächtig nach Regen klangen … So auch morgens??? NÖHÖ! Es pi(peep!)!!! Seit Wochen das erste mal… Schlagartig aus dem Tiefschlaf gerissen, führt Mister Mutton (mal wieder!!!!) seinen „Ich werf mal eben das Außenzelt über, weil es unerwartet angefangen hat zu schütten“ – Tanz auf, barfuß im Sand mit Distelgarnierung versteht sich. Immer schön in Schwung bleiben! So will man doch geweckt werden, oder? Es war das letzte Mal, dass wir ohne Überzelt pennen gegangen sind. Die trockenen Tage sind vorbei! Resultat: Leicht gewässert verschwindet der Herr wieder in seiner Schlaftüte mit dem Hinweis an die Dame seiner Wahl, sie könne berühigt weiterschlafen, denn er würde das Zelt erst wieder verlassen, wenn es aufgehört habe, zu regnen… oder auch später!!! „OK, CHEF!!!“

Pluspunkt vier: Die freundliche Mentalität der Leute! Und wenn man sich ein wenig mit der aktuellen Lage in Argentinien auseinandersetzt, schätzt man diese Freundlichkeit noch mehr. Die Aussichten sehen nicht so rosig aus, Angst vor Abschwung und Wohlstandsverlust sind nicht selten. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch.  Und trotzdem bewahren sich die Menschen ihre offene Freundlichkeit und grüßen die verdreckten, eingestaubten Muttons mit freundlichstem Lächeln, während sie uns durch den Schwung ihrer Karre den nächsten Dreck fressen lassen 🙂

Das ist doch allerhand auf der Habenseite, nicht wahr? Das muss dann aber auch reichen, denn mehr können wir, so weit wir auch blicken, nicht finden. Und wenn man mit seinem Tourenbergfahrrad auf einer Piste der übelsten Sorte (selbst bolivianische Hochlandpisten versprechen bessere Qualität!) die letzten 35 Kilometer zur Grenze nach Chile zurücklegt, dann geraten diese Fakten gaaaaaaaaaaanz schnell aus dem Fokus der Aufmerksamkeit, werden stattdessen abgelöst von Schimpftiraden der allerhöchsten Intensität. (Und mal wieder setzt Chile ein Zeichen und wartet exakt am Grenzübergang mit einer wundervoll asphaltierten Straße ins nächste Städtchen auf – hatten wir schon!!!) Auch finden wir den Eintritt in einen überfüllten, kleinen Nationalpark mit Namen Los Alerces für 150 Pesos pro Nase dann doch stark übertrieben, wenn man vorher noch die Information gelesen hat, dass der Zutritt Ende 2015 50 Pesos gekostet hat. Was bekommt man dafür? Mmmmh, auf der ersten Hälfte der Strecke sieht man quasi nur die Piste und an deren Rändern Bäume. Nix mit Seeblick und Zugang zum Wasser. Dafür ne Menge Staub von den vorbeidonnernden Autos. Die zweite Hälfte des Parks ist schon besser, es gibt viele als frei ausgewiesene Stellen, wo man sein Zelt aufstellen kann, allerdings ohne Toiletten aber wenigstens mit Mülleimern. Das ist doch ne Gegenleistung für das Geld? Ja sicher, aber warum treibt man die Preise für solche Dinge so schnell in die Höhe, bis man das Gefühl bekommt, hier eigentlich nur noch ausgenommen zu werden…? Und das ist unser Hauptlamento bezüglich Argentinien, sei es nun berechtigt oder nicht! Die steigende Inflation in diesem Land ist sicher Teil der Ursache, kann aber wohl nicht der alleinige Grund dafür sein…

Wenn ein Radladenbesitzer einer Reiseradlerin, deren Reifen an der Flanke aufgerissen ist, vehement widerspricht, wenn sie den Wunsch äußert, sie bräuchte einen neuen Reifen und wolle diesen bei ihm kaufen, ihr stattdessen den Reifen mit einem Stück eines alten Reifens „flickt“ und das Ganze mit dem Hinweis versieht, es mache absolut keinen Sinn, irgendwelche Radutensilien in Argentinien zu kaufen, denn sie seien zu teuer und eh nur Schrott und man soll doch lieber das Zeug in Chile besorgen, dann stimmt doch was nicht…! Zum einen zeigt dies die freundliche (wenn vielleicht in diesem Fall auch ökonomisch selbstzerstörerische :-)) Mentalität vieler Menschen in Argentinien, aber eben auch ein Problem, mit dem sich die Leute in diesem Land ständig konfrontiert sehen. Und die von uns schon früher geschilderten Probleme betreffen sicher auch nicht nur Ausländer.

All das bietet die Melange an Eindrücken, die dem oben beschriebenen Start in den Tag sein explosives Potential gaben 🙂 Frühstück war klasse, die Unterkunft in Bariloche kein Schnäppchen, aber durchaus preiswert. Aber dann geht man „noch mal schnell“ Geld wechseln, denn man will ja auch in Chile versorgt sein, hebt für satte Gebühren erst noch einmal den Höchstbetrag an argentinischen Peso ab, um sie dann nach einer halbstündigen Wartezeit für eine verbrecherische Wechselkursgebühr in chilenische Peso umzutauschen, was man aber erst bemerkt, als das Internet im Hotel wieder funktioniert und man die aktuellen Wechelkurse abrufen kann (Timing ist alles, hatten wir schon!!!). Spitze!!!! Da kommt einem doch glatt das Frühstück wieder hoch!!!! Aggro-Mutton packt seinen Krempel, hat auch schon fast alles an seiner Karre befestigt, damit die Herde schleunigst das Weite suchen kann, und hält doch tatsächlich völlig unerwartet den linken Bügel seiner Brille in der Hand. Dieses Feature ist definitiv nicht vorgesehen bei diesem Modell!!!! Prima!!! Timing? Timing!!! Es kann doch jetzt eigentlich nicht mehr schlimmer werden?! Man ahnt es schon…

Mit der Brille auf halb acht geht es gegen halb eins in den Tag hinaus. „Wir müssen einfach nur die Straße entlang und kommen dann auf die Ruta 40!“ – Hahaha… – Die immer mit ihren dämlichen Einbahnstraßen. (Kurzfristig) einfach mal geändert, nicht zu unseren Gunsten… (TIMING!!!) Der Umweg gestaltete sich als die große Möglichkeit, sich seinen Frust von der Seele zu strampeln… 15 % Steigung raus aus der Stadt, dazu energischer Gegenwind, dichter Verkehr und gleich noch eine Umleitung über ne Staubpiste! Nach ganzen 12 Kilometer läuten wir völlig konsterniert die Mittagspause ein – Keinen Bock mehr!!! Nach weiteren 28 Kilometern machen wir Schluss, finden einen herrlichen Campspot am See und denken schon, dies sei das versöhnliche Ende des Tages, als beim Zeltaufbau mal eben noch eine Gestängeverbindung so dämlich auseinanderrutscht, dass sich die Aluminiumaufnahme etwas aufbiegt. Törö! Einsame Spitze! Eine Überraschung ist es nach der Vorgeschichte für uns auch nicht mehr.

Ein ganz normaler Tag in Argentinien? Zum Glück nicht, aber wo passiert uns solcher Mist, wenn nicht hier in diesem Land! Es ist im Prinzip nur konsequent :-)! (wenn wir auch für den einen oder anderen Fauxpas die Verantwortung zeichnen, so selbstkritisch sind wir dann doch 🙂 )

Jetzt sind wir in Chile angekommen, haben uns im Rafting-Mekka Futaleufu ne Auszeit gegönnt und starten morgen gen Carretera Austral – DER Reiseradlerpiste Patagoniens. Dass wir hier vor Ort kein Geld am Automaten bekommen haben, wird doch kein Ohmen sein?!?

Chile!!!! Enttäusche uns nicht! Wir würden es nicht verkraften!!! (Naja, so schlimm ist es wohl dann vielleicht doch nicht…)

In diesem Sinne: auf in die letzten Wochen auf diesem Kontinent. Gegen Anfang März ist hier wahrscheinlich Feierabend und Neuseeland ruft… Sechs Monate liegen hinter uns – unfassbar schnell vergangen! Aber weitere sechs Monate warten auf uns.

Hier geht es also heiter weiter für Wettstreiter und Begleiter!

Beste Grüße und bis bald! Die Muttons!