Zwölf Prozent Steigung, Waldautobahn, ich quäle mich (gewollt), das Laktat schießt in die Oberschenkelmuskulatur, der Puls ist ganz klar im anaeroben Bereich. Auf einmal vernehme ich ein lauter werdendes Surren und während ich mich noch frage, was zur H… das ist, fährt ein korpulenter Mittfünfziger an mir vorbei, schaut kurz rüber und radelt dann entspannt seines Weges. Ambitioniert setze ich mich an sein Hinterrad, ignoriere die Schmerzen, bereit, bis an die K…grenze zu gehen… Für 100 Meter hat es gereicht, dann ließ ich ihn ziehen/musste ich ihn ziehen lassen.

Neulich in den Alpen. Wandertour von Hütte zu Hütte. Die Gruppe quält sich per pedes eine ambitionierte Steigung von 15 Prozent den Berg hinauf, als auf einmal einer von hinten warnt: VORSICHT, RADFAHRER!!! Kurz darauf fährt eine Familie locker lässig an uns vorbei. Die Damen der Runde haben vorsorglich noch Daunenjacken an…

Ich beobachte seit etwas längerer Zeit, dass sich im Bereich der E-Mobilität per Velo eine ganze Menge tut. Erst waren es normale Straßen-, Cityräder, die zunehmend die Straßen und Wege füllten. Jetzt scheint es auch mit Bergfahrrädern „bergauf“ zu gehen. Immer mehr stelle ich mir dabei allerdings die Frage, ob ich dies gut finden soll, bzw. kann und tendiere, anfänglich nur mittels Bauchgefühl, mittlerweile aber auch durch gründlichere Überlegungen dazu, diese ganze Entwicklung nicht gut zu finden und kritisch zu sehen.

Wo liegen die Gründe?

Natürlich kann es nur von Vorteil sein, wenn die Menschen ihre Komfortzonen verlassen, in die Natur gehen und die Blechdose namens Auto öfter stehen lassen. Aber geht das denn nicht mit herkömmlichen Rädern?! Nein, natürlich nicht, denn das wäre ja zu anstrengend. Man könnte ins Schwitzen kommen, Muskelkater kriegen oder nach Luft ringen… Mit dem Erwerb eines E-Rades wird eine Komfortzone scheinbar nur durch eine andere getauscht. Macht man sich damit nicht selbst etwas vor, wenn man posaunt, man fahre jetzt mehr Rad, tue mehr für seine Gesundheit, aber dies ohne erhebliche Mehranstrengung?

Folgt man obigem Gedanken und bedenkt zudem, dass ein E-Bike durch das nicht unerhebliche Zusatzgewicht des Antriebs und des Akkus deutlich schwerer daherkommt als herkömmliche Räder, steht eins fest: die Akkukapazität bestimmt die Länge des Ausritts. Das „In-die-Natur-Gehen“ fällt dadurch sehr begrenzt aus und wehe dem, dessen Akku im Anstieg schlapp macht… Von neuer mobiler Freiheit kann man so wohl kaum sprechen. Wer lässt für längere Trips das Auto stehen, wenn das Rad droht auf halbem Wege schlapp zu machen und dann ein erhebliches Mehr an Krafteinsatz notwendig werden würde? Definitiv nicht Der- oder Diejenige, der/die sich ein E-Bike zulegte, um schön bequem von A nach B zu kommen.
So bleibt das elektrifizierte Rad wohl meist ein Freizeitobjekt, was den sonntäglichen Spaziergang ersetzt, also eine Aktivität, für die man keinerlei Strom oder Sprit braucht und nur die Menge an CO2 ausstößt, die der Körper produziert. Somit sieht es auch für die viel zitierte angeblich positive Umweltbilanz durch E-Bikes nicht so blumig aus, wie man erst einmal meinen mag. Zudem: auch wenn ein elektrisch betriebenes Fahrrad nicht direkt Schadstoffe emittiert, so tut es doch die Erzeugung des Stroms, der den Akku speist. Wird dieser nur durch regeneretative Energiequellen erzeugt?

Durch diese Neuerung im Fahrradsektor steht eins unweigerlich fest: Immer mehr Leute, die vorher kein oder wenig Rad fuhren, wählen nun diese Art der Mobilität, sei es auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder als Freizeittour im Wald und in den Bergen. Menschen ohne Radfahrroutinen setzen sich auf Räder, die ohne großen Kraftaufwand sehr schnell auf Touren kommen können. Geschwindigkeiten um die 30 km/h sind keine Seltenheit, nur wie man dieses Gefährt beherrscht, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, es brenzlig wird, das hat man nicht erlernt, nicht „erfahren“ , nicht verinnerlicht. Am besten geht dies, wenn man selbst bzw. seine eigene Leistung der Begrenzer ist. Bergauf, bergab und geradeaus.

Natürlich können E-Bikes auch ein Segen sein. Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, erfahren neue Möglichkeiten, Ziele anzusteuern, die vorher außer Reichweite oder nur mit fremder Hilfe erreichbar waren. Aber auch hier sei gesagt, man muss es sich leisten können.

Bleibt das E-Rad allerdings ein Freizeitobjekt, stößt es es bei mir auf deutliche Ablehnung. Einige Gründe stehen oben. Das suggerierte Mehr an mobiler Freiheit bezweifle ich stark, allerdings hat jeder finanzstarke Kunde/jede finanzstarke Kundin die Freiheit so ein Ding zu kaufen und zu nutzen.

Vielleicht ärgere ich aber auch nur, im Wald so abgehängt worden oder in den Alpen nur zu Fuß und mit Rucksack unterwegs gewesen zu sein? 🙂

Werbung